"Schiller for One" Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag
Am 10. November jährt sich der Geburtstag von Friedrich Schiller zum 250. Mal. Anlass genug, im Großen Hörsaal des Institutes gemeinsam mit dem Schauspieler Martin Theuer und dem Schlagzeuger Klaus Dreher gebührend diesen Ehrentag zu feiern. "Schiller for One" nennen die beiden ihr fetziges Programm. Die Ähnlichkeit mit "Dinner for one", dem bekannten
Silvester-Klassiker ist kein Zufall. So wie der Butler James an Miss Sophies 90. Geburtstag in verschiedene Rollen schlüpft, agiert auch der Schauspieler Theuer. Eigentlich sollten die Feierlichkeiten mit Beethovens Neunter Sinfonie eingeleitet werden, aber Orchester und Chor sind nicht erschienen. Als Ersatz bietet sich eine Podiumsdiskussion an. Theuer schlüpft in die entsprechenden Rollen. Jeder der teilnehmenden Experten wirft einen speziellen Blick auf Schiller und vereinnahmt ihn auf seine Weise. Prof. Dr. Dr. Dr. Abele sieht ihn aus der Perspektive des Literaturwissenschaftlers, der Schauspieler wiederum möchte selbst ins rechte Licht gerückt werden und der Regisseur hat vor, Schiller "auf modern" zu trimmen. Was alle eint, ist ihre Begeisterung für den Dichter. Furios, fast berserkerhaft verkörpert Theuer diese Rollen: Schiller for One! "Untermalt" wird diese Darstellung durch die virtuose Schlagzeugbegleitung seines Kollegen Dreher. Dieser setzt musikalisch überraschende, spannende Akzente und lädt die Zuhörer/Zuschauer zu neuen Deutungen bekannter und weniger bekannter Texte ein, wenn er die Pauken mittels Gänsefedern bekritzelt, Schiffsglocken läuten lässt oder mit einem echten Handfeger die Becken kehrt. ("Der Mann muss hinaus ins feindliche Leben [...] und drinnen waltet die züchtige Hausfrau...") Dreher findet wortwörtlich den richtigen Ton: dumpf, hell, langsam, schnell - kongenial ergänzen sich Musiker und Schauspieler.
Eines der bekanntesten Werke Schillers steht im Mittelpunkt dieser Wort-Ton-Präsentation: Das Lied von der Glocke. Für viele Schülergenerationen war dieses Opus Pflichtlektüre im Deutschunterricht und mancher musste es gar auswendig aufsagen. Es dauert ca. eine halbe Stunde, um es vollständig zu rezitieren: " Fest gemauert in der Erden steht die Form, aus Lehm gebrannt. Heute muss die Glocke werden, frisch, Gesellen, seid zur Hand [...] Soll das Werk den Meister loben, doch der Segen kommt von oben." Den wenigsten der geplagten Schüler erschloss sich der Sinn dieser und vieler weiterer Worte auf Anhieb und etliche wandten sich dauerhaft von diesem Klassiker der deutschen Literatur ab.
Originell, frisch und witzig dagegen der Zugang, den Dreher und Theuer vermitteln. Das typische Pathos, das vielen Gedichten Schillers eigen ist, wird durch das Schlagzeug und diverse andere "Zutaten" wie Waschbrett oder Schiffsglocke verstärkt. Dreher "schreibt" die Ballade auf seine Art und Weise neu und entfernt so den vermeintlichen Staub, der auf diesem Werk liegt. Durch seine musikalische Interpretation wird verständlich, weshalb Schiller als typischer Vertreter der Sturm und Drang - Dichtung gilt.
Nach der Pause wird das Motiv der Glocke erneut aufgegriffen. Furchterregend schwingt unser Musikus zwei riesige Kuhglocken und versetzt den Hörsaal bzw. seine Besucher in Schwingung.
Bezüglich der Textinhalte mischt sich Ernstes, Besinnliches mit Heiterem. Erstaunt nimmt man zur Kenntnis, dass viele Schiller-Zitate unseren Alltag prägen: wo rohe Kräfte sinnlos walten..., ein Mann, ein Wort, wenn Weiber zu Hyänen werden. Letzteres ist auf die Französische Revolution gemünzt. Wie sehr sich Schiller als Kämpfer für die Freiheit verstand, wird durch die Rezitation der Schlüsselszene aus "Wilhelm Tell" deutlich - Dramatik pur.
Ziehet, ziehet, hebt! Sie bewegt sich, schwebt, Freude dieser Stadt bedeute, Friede sei ihr erst Geläut. Man gerät selbst in Schwingung, wenn Theuer theatralisch diese letzten Worte aus dem Lied der Glocke zitiert.
Freude nicht nur für die Stadt, sondern auch für Hunderte von Zuschauern/Zuhörern im Großen Hörsaal, denn "Schiller for One" ist in jeder Hinsicht ein Augen- und Ohrenschmaus. Vermeintlich toter Dichtkunst wird musikalisch und szenisch neues Leben eingehaucht. Augenzwinkernd wird unser Dichterfürst aus Marbach ein bisschen von seinem hohen Sockel gestoßen. Zwar war Friedrich Schiller ein von der Arbeit Besessener. Am besten dichtete er, wenn der Duft eines verfaulenden Apfels aus seiner Schreibtischschublade drang. Auch manch andere Annehmlichkeiten wusste er zu schätzen; insbesondere dem Wein war er zugetan, wie uns der Schauspieler Theuer verraten hat: "Bacchus Gabe ist Balsam für das verwundete Herz." Prost, Herr Schiller! Herzlichen Glückwunsch zum 250. Geburtstag.
Dank an die Schulleitung für die Einladung zu dieser außergewöhnlichen Feier!
Anmerkung: "Das Lied von der Glocke" hat Schiller nach mehrjähriger Arbeit 1799 in Druck gegeben; 1800 erschien die erste Ausgabe. Seither existieren davon unzählige Bühnenfassungen, Vertonungen und Parodien. Schon als Heranwachsender hat sich Schiller für das Glockengießen interessiert. Als 17jähriger hatte er in Ludwigsburg Kontakt zum Sohn eines Glockengießers und lernte dieses Handwerk näher kennen. Später besuchte er in Rudolstadt mehrmals eine Glockengießhütte und ließ sich in die Geheimnisse des Gießens einweihen. Als Mediziner verstand Schiller etwas von Naturwissenschaften und konnte so sein Wissen über benötigte Stoffe und Arbeitsabläufe einbringen. Akribisch beschreibt er sieben nötige Arbeitsschritte. Über die einzelnen Stationen, Anfeuern des Schmelzofens mittels Fichtenholz, Zugabe von Aschensalz (Pottasche), Prüfen des Gemisches aus Kupfer und Zinn, Verflüssigung, Abschlagen der Lehmschicht, beschreibt Schiller den "Werdegang" einer Glocke. Sinnbildlich steht das Glockengießen für den Verlauf des menschlichen Lebens.
Angela Schmitt-Bucher
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