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Institut Dr. Flad
Berufskolleg für Chemie, Pharmazie, Biotechnologie und Umwelt

Ausbildung mit Markenzeichen. Seit 1951.

Vor 25 Jahren starb der Erfinder des Perlons Paul Schlack

Prof. Dr. Paul Schlack war eines der 20 ehrenamtlichen Gründungsmitglieder des Vereins der Freunde des Instituts Dr. Flad. Anlässlich seines 25. Todestags wurde er mit einem Artikel über sein Lebenswerk von Dr. Bernd Klagholz in der Stuttgarter Zeitung geehrt. Ein Stück Chemie-Geschichte, das wir Ihnen nicht vorenthalten wollen.

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Foto aus dem Nachlass Paul Schlacks, Universitätsarchiv Stuttgart
 

Vor 25 Jahren verstorben: Paul Schlack - der Vater der Perlonfaser

von Dr. Bernd Klagholz

Das Schwabenland ist berühmt dafür, zahlreiche große Dichter und Denker, Tüftler und Erfinder hervorgebracht zu haben. Zu diesem illustren Personenkreis zählt auch Dr. Paul Schlack (1897-1987), der Erfinder des Perlons. Von 1962 bis zu seinem Tod 1987) wohnte er im Leinfelden-Echterdinger Stadtteil Stetten. Er war einer der Großen in der Zunft der Chemiker - das, was man auf gut schwäbisch ein "Käpsele" nennt. Am 19. August 1987 ist Paul Schlack in seinem Haus in Stetten verstorben. Die Geschichte des Perlons von seiner Entdeckung 1938 bis hin zur massenhaften Verbreitung in den fünfziger und sechziger Jahren spiegelt die besonderen Zeitumstände wider.

Familie und Ausbildung

Paul Schlack stammte aus einer kinderreichen Stuttgarter Beamtenfamilie, sein Vater war Direktor beim Landesfinanzamt Stuttgart. Mit 17 Jahren legte er das Abitur am Stuttgarter Eberhard-Ludwig-Gymnasium in Stuttgart ab und begann an der TH Stuttgart Chemie zu studieren. Durch den Militärdienst und die Teilnahme am Ersten Weltkrieg wurde er jäh aus seiner Ausbildung herausgerissen. Erst 1919 konnte er das Studium, das er 1921 erfolgreich abschloss, wieder aufnehmen. Paul Schlack war außergewöhnlich begabt und der Lieblingsschüler seines Professors, des bedeutenden Biochemikers Professor William Küster. Bei einem längeren Forschungsaufenthalt in Kopenhagen in den Jahren 1921/1922 gewann er profunde Kenntnisse in der Eiweißchemie, die für seine spätere Arbeit sehr wichtig wurden. In Kopenhagen lernte er auch seine spätere Frau Sigrid Nielsen kennen. Sein Berufsweg führte ihn nicht in die Lehre an einer Hochschule, sondern in die Industrie. 1924 kam Paul Schlack nach Wolfen zur Aktiengesellschaft für Anilinfarbenfabrikation (AGFA), einem Unternehmen der I.G. Farben. Dort beschäftigte er sich nicht, wie er ursprünglich vor hatte, mit Fotochemie, sondern mit Faserforschung (Herstellung von Kunstseide).

Die Beschäftigung mit Kunstfasern

Schon zwei Jahre später, 1926, wurde Paul Schlack Leiter der Forschungsabteilung der Aceta-Kunstseidefabrik in Berlin-Lichtenberg. Dieses Unternehmen gehörte ebenfalls zur I.G. Farben. Seine Aufgabe war es herauszufinden, wie sich Zellulosefasern leichter färben lassen. Diese Tätigkeit genügte ihm aber nicht. Seine wissenschaftliche Neugier wurde schließlich zur Triebfeder für seinen späteren Erfolg: In den Jahren 1930 bis 1932 begann er sich – nebenbei und ohne dienstlichen Auftrag - mit der synthetischen Faserforschung, den Polyamiden zu beschäftigen. Obwohl er Erfolge erzielte, stieß er bei seinen Vorgesetzten weder auf das nötige Interesse noch die nötige Unterstützung. Bedingt durch die Weltwirtschaftskrise wurden auch den Forschungsabteilungen der chemischen Industrie die finanziellen Mittel gekürzt, sodass Schlack seine Versuche offiziell abbrechen musste. Inoffiziell forschte er weiter, konnte aber nicht verhindern, dass sich der Vorsprung der Amerkaner auf dem Gebiet der Chemiefaserforschung i zunehmend vergrößerte.

Die Erfindung des Nylons

Aufgrund dieser Situation verwundert es nicht, dass die erste brauchbare, industriell verwertbare Kunstfaser in den USA erfunden wurde. Der Chemiker W.H. Carothers entdeckte das Polyamid 6.6, später Nylon genannt. Dies geschah 1938 im Labor des Du Pont-Konzerns, für den die Erfindung auch sogleich patentiert wurde.

Dies bedeutete einen Quantensprung. Denn die Erfindung des Nylons versprach "die Erfüllung des alten Menschheitstraums, Stoffe und Kleidung in beliebiger Menge herstellen zu können - unabhängig von den bisher verwendeten Rohstoffen wie Baumwolle, Wolle und Seide" (U. Tschimmel). Bei der Weltausstellung 1939 in New York waren Nylon und vor allem Nylon-Strümpfe die große Sensation. 1940 kamen die begehrten Strümpfe auf den amerikanischen Markt; im großen Stil produziert wurden sie jedoch erst nach 1945. Voraussetzung für die Erfindung des Perlons wie des Nylons waren die bahnbrechenden Erkenntnisse des späteren Chemie-Nobelpreisträgers Hermann Staudinger (1881-1965). Er hatte sich in den 1920er Jahren mit dem Aufbau und der Struktur von Naturfasern beschäftigt und dabei entdeckt, dass die eigentlichen Bausteine der Kunststoffe nicht kleine Moleküle, sondern Makromoleküle sind.

Die Erfindung des Perlons

Es ist bezeichnend für das Wesen Paul Schlacks, dass er sich durch den nun offensichtlich uneinholbaren Vorsprung der Amerikaner nicht abhalten ließ, weiterzuforschen. Er wollte herausfinden, ob es bei den Nylonpatenten eine Lücke gab. Die Forschungsergebnisse Carothers waren ihm nur teilweise bekannt. So ergab es sich, dass Schlack in eine Richtung experimentierte, die Carothers auch schon eingeschlagen hatte, aber dabei nicht zum Erfolg gekommen war. Die Rede ist von der Arbeit mit Caprolactam. Dabei handelt es sich um eine Substanz, die aus Benzol und Phenol gewonnen wurde und im Gegensatz zum Ausgangsstoff des Nylons auf der molekularen Ebene nicht kettenförmig, sondern ringförmig aufgebaut war. Paul Schlack entdeckte am 29. Januar 1938, dass diese Ringe aufgebrochen und so die nötigen Makromoleküle gewonnen werden konnten. Durch diesen "Polymerisation" genannten Vorgang entstand Polycaprolactam, das zunächst "Perulan" und später Perlon genannt wurde. Die neue Kunstfaser musste dann "verstreckt" und mit Hilfe von Spinndüsen zu Fäden versponnen werden. Perlon (Polyamid 6) gehörte zu derselben Gruppe der Polyamide wie das Nylon (Polyamid 6.6). Beide Fasern waren für die textile Verarbeitung besonders gut geeignet. Gegenüber Nylon hatte Perlon jedoch den Vorteil, dass es kostengünstiger produziert werden konnte (Schlack-Lactam-Verfahren). Paul Schlack hatte mit wenig Aufwand und Personal das Konkurrenzprodukt zu Nylon erfunden. Selbstverständlich waren die Vorgesetzten jetzt begeistert. Die Erfindung wurde zunächst streng geheim gehalten und erst nach vier Monaten zum Patent angemeldet, weil man der Konkurrenz keine Hinweise liefern wollte. Als im Sommer 1938 einige Du Pont-Direktoren nach Berlin kamen, um im Vollgefühl ihres Nylon-Erfolges Lizenzverhandlungen zu führen, staunten sie nicht wenig, als man ihnen hochwertige Perlon-Fäden präsentierte.

Testphase und Umsetzung

In der folgenden Zeit ging es darum, die Erkenntnisse umzusetzen und die "Laboratoriumskuriosität" Caprolactam in großen Mengen herzustellen, um Perlon produzieren zu können. Anschließend musste das Perlon versponnen werden. Zu diesem Zweck ließ Paul Schlack nach eigenen Entwürfen Versuchsspinnmaschinen bauen. Ein halbes Jahr nach seiner Erfindung lag der erste Damen-Strumpf aus Polyamid-6-Seide vor. Große Trageversuche wurden gestartet, an der sich auch die Mitglieder der inzwischen auf vier Personen angewachsenen Familie Schlack beteiligten, wie der Sohn Niels Schlack (Jg. 1925) berichtet. Seine Mutter war die erste Frau in Deutschland, die Perlon-Strümpfe trug. Diese waren jedoch nicht mit den feinen Strümpfen späterer Zeiten zu vergleichen. Sie waren sehr dick und zudem stark glänzend. Niels Schlack selbst, der im September 1943 als 18jähriger an die Westfront musste, wurde vom Vater als erster Soldat mit Perlon-Test-Socken ausgestattet. Der Erfinder trug seinerseits im Selbstversuch zeitweise einen dunkelblauen Anzug aus Perlon, der durch seinen starken Glanz auffiel.

Polyamidfasern zeichnen sich gegenüber Naturfasern durch hohe Elastizität und eine extreme Festigkeit aus, die größer ist als die des Gussstahl. Sie sind hochelastisch und sehr reiss- und scheuerfest. Sie haben ein geringes spezifisches Gewicht, knittern kaum, nehmen wenig Wasser auf und trocknen daher rasch. Diese Eigenschaften machten sie auch zu interessanten Stoffen für Taue, Seile, Fischernetze, technische Drähte und Borsten. Heute werden sogar Zahnräder und Dübel aus Perlon hergestellt. Nach dem Krieg ist es vorgekommen, dass Autofahrer in Ermangelung eines Seils zum Abschleppen Perlon-Strümpfe zusammengeknotet haben, was bestens funktionierte.

Die Herstellung von Perlon im Krieg

Spätestens seit 1936 stand die deutsche Wirtschaft, die in starkem Maße der Lenkung durch den NS-Staat unterworfen war, im Zeichen der Aufrüstung. Im Krieg wurden die synthetischen Fasern in erster Linie militärisch genutzt - sowohl auf deutscher als auch auf alliierter Seite. In Berlin-Lichtenberg begann 1939 die industrielle Perlonherstellung. Im Osten Deutschlands entstanden weitere Betriebe, in denen von Zwangsarbeitern für die Rüstungsindustrie Fallschirmseide, Schnüre und Seile hergestellt wurden. Paul Schlack widmete sich in Berlin-Lichtenberg weiterhin intensiv der Forschung. Er berichtete: "In unserem 1942 errichteten Labor … arbeiteten wir intensiv bis vier Wochen vor Kriegsende, bis wir kein Gas, Wasser, Elektrizität mehr hatten. Ich würde sagen, trotz intensiver Bombardierung gab es vorbildlichen Kooperationsgeist und Enthusiasmus…" Im März 1945 – schaffte er es noch, an der Universität Jena über Polyamide zum promovieren.

Neubeginn in Bobingen nach 1945

Kurz vor Kriegsende gelang es, wichtige Produktionsmittel - eine Versuchsanlage und Spinnapparaturen - von Berlin-Lichtenberg in das in der amerikanischen Zone gelegene Bobingen bei Augsburg zu verlagern. Auch wertvolle wissenschaftliche Unterlagen konnten gerettet werden. Paul Schlack berichtete: "Mit einem der letzten Züge gelang es mir, ohne Begleiter mit 9 Kisten Perlon-know-how im Coupé über Dessau nach Wolfen zu gelangen. Am zerstörten Bahnhof in Dessau und dann in Wolfen musste ich ohne Hilfe meine Kisten, eine nach der anderen, durch die Unterführung schleppen …" Die Unterlagen wurden dann von den Amerikanern beschlagnahmt. Unter abenteuerlichen Umständen gelang es Schlack schließlich, wieder in ihren Besitz zu kommen. Dies war die Basis für den Aufbau der neuen Perlon-Produktion in einer ehemaligen Kunstseidenfabrik in Bobingen. Die Genehmigung hierfür hatte er bekommen, in dem er auf die Möglichkeit hinwies, Handwaschbürsten aus Perlon für Krankenhäuser herzustellen. Bei den hygienebewussten Amerikanern, die große Angst vor Seuchen hatten, kam dies gut an. So wurden in Bobingen seit 1946 Bürsten, Draht und Fasern aus Perlon hergestellt. Anfänglich sollte Paul Schlack 1946 die technische Leitung des Werkes nur für 14 Tage übertragen werden - aus zwei Wochen wurden neun Jahre. In dieser Zeit gelang es ihm, mit Geldern des Marshallplans und der Unterstützung des damaligen bayerischen Staatsministers für Handel und Gewerbe, Ludwig Erhardt, die Perlonproduktion in großem Stil neu aufzubauen. Die Bobina AG, die später 2000 Beschäftigte hatte, wurde gegründet und dann 1952 vom Hoechst-Konzern übernommen. Seit 1955 leitete Schlack die Faserforschung bei Hoechst. Bedingt durch die Tatsache, dass die Patente auf das Perlon nach Kriegsende gemeinfrei und damit für jedermann nutzbar wurden, kam es in der Perlonproduktion zu einem starken Wettbewerb. Auf den weitsichtigen Rat Schlacks hin setzte Hoechst neben der Perlonherstellung auch auf die Produktion von Polyester (Trevira), das aufgrund der vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten bald darauf zur wichtigsten Chemiefaser wurde.

Symbol des Neubeginns und des Wirtschaftswunders

Nach 1945 erschien die deutsche Gesellschaft in neuem Gewand. In den 1950er und 1960er Jahren wurden die synthetischen Fasern zum Inbegriff des bundesrepublikanischen Wirtschaftswunders. Kleidung aus Kunstfasermaterial signalisierte Modernität, war aber zunächst ein absolutes Luxusgut und Statussymbol. Nach dem Krieg und der NS-Diktatur war man begierig nach neuen Farben, neuen Mustern und neuen Stoffen. Dabei ließ man sich vom American way of life inspirieren. Perlon-Strümpfe wurden allerdings erst im Jahr 1950 wieder hergestellt. "Perlon wurde trotz seiner Verwendung während des Krieges …ein Symbol des Neubeginns. Nur wenige hatten das Material kennen gelernt. Es vermittelte nach den schweren Kriegsjahren den Eindruck von Leichtigkeit. Allerdings wurde bald auch seine Begrenztheit im Tragekomfort deutlich, und andere, besser mit Naturfasern zu vermischende synthetische Materialien ersetzten die Polyamide. Nur im Bereich der Damenstrümpfe und der technischen Textilien blieb ihre Bedeutung erhalten…" (A. Döpfner)

In der ehemaligen DDR stellte man ab 1959 Produkte aus Perlon unter dem Markennamen "Dederon" her.

Lebensabend in Stetten

Die Familie Schlack zog im Dezember 1962 nach Stetten, das damals 2.900 Einwohner zählte (heute: 6.669). Paul Schlack war nun 65 Jahre alt und ein Jahr zuvor zum Honorarprofessor an der TH Stuttgart ernannt worden. Dort lehrte er bis zu seinem 70. Lebensjahr. Er war "einer der ideenreichsten Chemiker Deutschlands: 270 Erfindungen, die sich in wenigstens 750 deutschen und ausländischen Patenten niederschlugen, zeigen dies." (A. Kipnis). Für sein Lebenswerk erhielt er hohe Auszeichnungen wie das Große Bundesverdienstkreuz.

Am 19. August 1987 erlag Paul Schlack einem Herzinfarkt in seinem Haus. Die Beisetzung fand am 24. August auf dem Friedhof in Stetten statt. Er war nicht nur ein großer seiner Zunft, sondern auch ein liebenswerter Mensch. Ein befreundeter Kollege urteilte über ihn: "Herr Professor Schlack war eine bescheidene, liebenswerte Persönlichkeit, die von allen, die ihn kannten, sehr geschätzt wurde. Er war nicht der `Manager´ klassischen Typs, sondern der zurückhaltende, arbeitsame und seine für richtig erkannte Ideen konsequent verfolgende Forscher. Menschen, die ihm auf seinem langen Lebensweg begegnet sind, werden sich seiner gerade wegen seiner Menschlichkeit gern an ihn erinnern."

 

Wir danken Dr. Bernd Klagholz, dem Stadtarchiv Leinfelden-Echterdingen sowie der Universität Stuttgart für die Erlaubnis, vorstehenden Text und das Foto auf unseren Internetseiten veröffentlichen zu dürfen.