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Institut Dr. Flad
Berufskolleg für Chemie, Pharmazie, Biotechnologie und Umwelt

Ausbildung mit Markenzeichen. Seit 1951.

"Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden" (nach Prof. Welzer)

Gerd M. Willers

Gastvortrag am 15. April 2015 um 11:00 Uhr im Institut Dr. Flad

Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden (nach Prof. Welzer)
Gastvortrag von Gerd M. Willers

Der diesjährige Internationale Tag gegen Rassismus bot die Gelegenheit, sich mit der Frage zu beschäftigen, wie aus gewöhnlichen Menschen skrupellose Mörder werden, die Tausende auf dem Gewissen haben. Als Gastreferenten begrüßte Schulleiter Wolfgang Flad den Ltd. Regierungsdirektor Gerd M. Willers, der sich als Vorstand des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge für Friedenserziehung engagiert.

Siebzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist die Ursachenforschung nach wie vor aktuell: Auf den Holocaust der Nationalsozialisten folgten Genozide u. a. in Ruanda und Jugoslawien und es ist zu befürchten, dass diesen Gräueltaten weitere folgen werden. Weshalb entwickeln sich gebildete Menschen zu Massenmördern?

In seinen Ausführungen bezog sich Herr Willers hauptsächlich auf ein Buch des Sozialpsychologen Prof. Harald Welzer: "Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden."

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"Wenn Menschen, die eine gleiche Erziehung genossen haben wie ich und gleiche Bücher, gleiche Musik, gleiche Gemälde lieben wie wie ich, wenn diese Menschen keineswegs gesichert sind vor der Möglichkeit, Unmenschen zu werden und Dinge zu tun, die wir den Menschen unserer Zeit, ausgenommen die pathologischen Einzelfälle, vorher nicht hätten zutrauen können, woher nehme ich die Zuversicht, dass ich davor gesichert bin?", fragte sich bereits 1946 der Schweizer Schriftsteller Max Frisch. Die Haupttäter des Dritten Reiches waren nicht die Monster, die man möglicherweise gerne in ihnen gesehen hätte. In der Mehrzahl waren die Massenmörder nicht psychisch krank, sie waren nicht abartig veranlagt, sie waren, abgesehen von wenigen Ausnahmen, keine Sadisten, die Freude hatten am Quälen und Töten. Vielmehr waren sie Männer aus der Mitte der Gesellschaft, die in keiner Weise besonders auffielen. Das ergaben psychologische Untersuchungen im Kontext der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse. Dabei setzte man den Rorschach-Test ein, ein bis heute übliches, wenn auch umstrittenes Verfahren. Tintenkleckse werden interpretiert und je nach Deutung werden den Probanden spezifische Persönlichkeitsmerkmale zugeordnet. Bis auf die Tatsache, dass etliche der Nazi-Schergen die Kleckse als Chamäleon identifizierten, gab es keinerlei Abweichungen gegenüber der "Normalbevölkerung". Eine typische Massenmörder-Persönlichkeit gibt es nicht! Mitte der 70er Jahre wurden die Erkenntnisse nochmals überprüft. Die Vollstrecker der millionenfachen Tötungsmaschinerie waren keine Ungeheuer. Im Gegenteil: Sie waren biedere Familienväter, waren belesen, liebten Kunst und Musik. Entgegen landläufiger Meinung entstammten sie nicht der "primitiven" Unterschicht; wie viele Anhänger der Nazi-Ideologie hatten sie eine humanistische Bildung genossen. Herr Willers erinnerte an die Cellistin Anita Lasker-Wallfisch.

Sie war Mitglied des Mädchenorchesters von Auschwitz und musste dem ansonsten gnadenlosen KZ-Arzt Josef Mengele wiederholt Robert Schumanns "Träumerei" vorspielen.

Wenn die Täter also nicht krank, nicht pervers waren - was trieb sie dann zu ihren ungeheuerlichen Gräueltaten an?

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Der Referent folgte in weiten Teilen seiner Ausführungen den sozialpsychologischen Schlussfolgerungen von Prof. Harald Welzer. Um Menschen zu Massenmördern zu machen, bedarf es keiner besonderen abweichenden Persönlichkeitsstruktur. Sowohl die Nazi-Diktatur als auch die Verbrechen in Jugoslawien belegen, dass solche Untaten eingebettet sind in einen gesellschaftlichen Rahmen. Das Feld ist quasi vorab ideologisch bestellt, die Handlanger führen das aus, was eigentlich in der Bevölkerung konsensfähig ist. Für Deutschland hieß das spätestens seit 1933: Verherrlichung des Militärs, Autoritätsgläubigkeit, anti-demokratische Grundeinstellung und ausgeprägter Antisemitismus. Bereits im März 1933, wenige Wochen nach der angeblichen "Machtübernahme", gab es in Deutschland mehr als 10 000 Häftlinge. Die Nazi-Größen waren selbst überrascht, wie wenig Widerstand ihrem "Erfolg" entgegengesetzt wurde. Ein gewisser Gruppendruck war sicherlich vorhanden. Zu Beginn der Herrschaft der Nationalsozialisten machten viele jedoch freiwillig mit bei der Hatz auf Juden und Andersdenkende. Das Ermächtigungsgesetz war eine Bankrotterklärung schlechthin. Als besonders anfällig zeigte sich der Verwaltungsapparat, insbesondere auch die Justiz. Der Schritt von der Ausgrenzung hin zum Massenmord vollzog bzw. vollzieht sich laut Welzer in mehreren Schritten:

  1. Wegsehen
  2. Dulden
  3. Mittun
  4. Aktives Unterstützen

Eingebettet in eine Art "Gutheißung" durch weite Teile der Bevölkerung sahen sich die meisten der Nazi-Verbrecher nicht als Massenmörder. Man hatte doch dazu beigetragen, das "Judenproblem" zu lösen. Das industrielle Töten war legitimiertes Tun. Die Überlebenden der Konzentrationslager litten ihr Leben lang; sie waren in mehrfacher Hinsicht Opfer. Die Täter dagegen spalteten ihre Taten ab: Der Holocaust hat doch nichts mit mir zu tun, ich habe meine Pflicht erfüllt, habe alles für Volk und Vaterland gegeben, habe meine Arbeit, die von mir erwartet wurde, immer korrekt ausgeführt. Herr Willers zitierte in diesem Zusammenhang den Philosophen Günther Anders: "Es gab nichts zum Aufarbeiten, da nichts verdrängt wurde." Deshalb lebten viele Täter, unbehelligt von der Justiz und nicht durch ihr Gewissen geplagt, in aller Ruhe ihr beschauliches Leben.

Die verstörende Frage nach dem eigenen Handeln, die Max Frisch ein Jahr nach Kriegsende aufgeworfen hat, kann letztlich nicht befriedigend beantwortet werden. Widerstand leisten wollen, bedeutet noch lange nicht, dies auch praktisch zu tun. Sich der Nazi-Diktatur offen entgegenzustellen war unter den Bedingungen dieses totalitären Staates lebensgefährlich.

Vom Mitläufertum zur Mittäterschaft ist es oft nicht weit. Erkenntnisse aus der Konformitäts- und Gehorsamsforschung (Milgram-Experiment) lassen aber erahnen, dass Massenmörder keine singuläre Erscheinung einer bestimmten historischen Epoche sind. Damit macht man es sich zu einfach. Vielmehr stellt sich die Frage nach dem Bösen des Menschen schlechthin, die Frage, welcher gesellschaftlicher Umstände es bedarf, damit zu j e d e r Zeit ein J e d e r von uns möglicherweise seine Moral, sein Gewissen außer Kraft setzt und das Normale dem Monströsen weicht.

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Herr Willers bezog sich in seinem Vortrag u.a. auf folgende Lektüre:

1.) Harald Welzer: Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2. Auflage 2005.

2.) Rüdiger Safranski: Das Böse oder das Drama der Freiheit, Hanser Verlag, München 1997.

Angela Schmitt-Bucher

 

Gerd M. Willers Im Buch "Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden" vertieft Harald Welzer die Ergebnisse von Christopher Browning zur Motivation der NS-Unrechtstäter in den Einsatzgruppen, die häufig völlig normale Biografien vorwiesen. Sie entwickelten eine Mentalität oder Binnenrationalität, in der sie als moralisch im Recht dastanden, auch wenn sie Kindererschießungen vornahmen. Die Tötung wird als Arbeit aufgefasst. Die Ergebnisse werden ausgeweitet für Vietnam, Ruanda und Jugoslawien.
aus: wikipedia.org/wiki/Harald_Welzer

Gerd M. Willers, geb. 1942, Jurist mit vielen herausgehobenen Verwendungen in der Bundesverwaltung.
Berufsbegleitend Studium der modernen Kunst und praktische Anwendung im Kontakt mit befreundeten Malern.
In den letzten Jahren schwerpunktmäßige Entwicklung als Autodidakt mit Landschaftsmalerei und Portrait.