Home • Kontakt • FAQ • Anmeldung • Anfahrt • Impressum • Datenschutz • 

Institut Dr. Flad
Berufskolleg für Chemie, Pharmazie, Biotechnologie und Umwelt

Ausbildung mit Markenzeichen. Seit 1951.

"Warum denn ins Konzert gehen?"

mit Rafael Rennicke, Konzertdramaturg an der Staatsoper Stuttgart

am Beispiel des 6. Sinfoniekonzerts des Staatsorchesters Stuttgart am 15. Mai in der Liederhalle Stuttgart mit dem weltberühmten Geiger Gidon Kremer und Werken von Victor Kissine und Peter Tschaikowsky unter Leitung von GMD Sylvain Cambreling

Am Dienstag, 2. Mai 2017, 11:30 bis 12:30 Uhr, im Institut Dr. Flad

 

größer

Musik und sich selbst entdecken

Konzertdramaturg Rafael Rennicke von der Oper Stuttgart fragte "Warum denn ins Konzert gehen?" - und gab einige begeisternde Antworten

größer Fast 30 Jahre ist es her, als der große Opern-Kenner und Opern-Enthusiast Professor Kurt Pahlen zu Gast im Institut Dr. Flad war und in einem Vortrag grundsätzlich wurde: "Warum denn in die Oper?" Nun griff Instituts-Leiter und Musik-Enthusiast Wolfgang Flad den Faden wieder auf und lud den Konzertdramaturg der Oper Stuttgart ein, auf den Spuren des berühmten Vorgängers danach zu fragen, was uns umtreiben sollte, ins Konzert zu gehen. Rafael Rennicke zeigte sich von der Initiative sichtlich angetan - und konnte am Endes seines Gastvortrags im bestens gefüllten Instituts-Hörsaal gleich zwei Dutzend Studentinnen und Studenten spontan davon überzeugen, ins nächste Sinfoniekonzert des Staatsorchesters Stuttgart zu kommen.

größer "Warum denn ins Konzert gehen?" - Rafael Rennicke gab gleich zu Beginn seines in freier und begeisternder Rede vorgetragenen Plädoyers zu erkennen, dass er hier keine Vorlesung halten, sondern den jungen Hörern seine eigene Begeisterung mitteilen wolle. Und dass es zunächst einmal gar keines Konzertsaals bedürfe, um sich von Musik "aus dem Alltag in eine andere Dimension mitreißen zu lassen", verdeutlichte er zum Auftakt anhand eines Erlebnisses eines Freundes. Der hatte, um sich für kurze Zeit aus dem Berufs-Alltag auszuklinken, seinen Sehnsuchtsort Indien angesteuert: Zeit, um die Seele baumeln zu lassen. Mit Kopfhörern auf den Ohren und mit Blick auf die Weite des Meeres hörte er - derart dem Alltag entrückt - eine seiner Lieblingsmusiken plötzlich mit ganz anderen Ohren, noch inniger und emphatischer als je zuvor. "Er schilderte mir glaubhaft, dass er die Verbindung der Musik zum Kosmos, zum Metaphysischen gespürt hätte", berichtete Rennicke und schlussfolgerte daraus, dass es nicht primär der Ort, sondern die eigene Seelengestimmtheit sei, die uns bewegende, tief berührende, unvergessliche Musik-Erlebnisse schenken könne.

größer In einem nächsten Schritt gab sich Rennicke gleichwohl als großer Befürworter einer "Konzerthaus-Kultur" zu erkennen. Der öffentliche Hype um die Eröffnung der Hamburger Elbphilharmonie habe erst kürzlich gezeigt, dass Konzerthäuser noch immer, in der heutigen Zeit vielleicht sogar mehr denn je, von gesellschaftlicher Bedeutung seien: "Konzerthäuser sind seltene, kostbare Inseln in der Topographie einer Stadt", meinte Rennicke. "Schon durch ihre Architektur, bei der unser Hören ganz in Zentrum steht, beeinflussen sie uns, entrücken uns dem Alltäglichen und tragen so zu einer besonderen Seelengestimmtheit bei. Sie fördern das, was in unserem lauten, schnellen Alltag oft auf der Strecke bleibt: die Öffnung für ein Gegenüber." Eine der zentralen Aussagen von Rennicke lautete darum: "Im konzentrierten Hin-Hören, im innigen Lauschen auf ein Gegenüber, entdecken wir nicht nur unser Gegenüber - die Musik -, sondern wir entdecken auch uns selbst."

größer Durch seinen täglichen Umgang mit Konzert-Besuchern, aber auch mit solchen, die es erst noch werden wollen, wisse er zu gut, welche gedanklichen Klippen einem ersten Konzert-Besuch oft im Wege stehen würden. Die Ratgeber-Literatur, die es mittlerweile auch für Konzert-Besucher gebe, sei ein ebenso bezeichnendes wie kurioses Phänomen unserer Zeit. Rennicke erteilte ihr eine beherzte Absage: "Wenn wir mit einem Mindestmaß an gesundem Menschenverstand ausgestattet sind, sollten wir nicht auf den Konzert-Knigge mit seinen strengen oder laxen Kleiderordnungen und Benimmregeln hören, sondern auf unsere Neugier vertrauen und auf unsere Lust, individuell zu sein." Mit einem Musikbeispiel aus der Frühzeit der Konzert-Kultur Mitte des 18. Jahrhunderts verdeutlichte Rennicke außerdem, dass Unbeschwertheit, Geselligkeit und ein aktives Kommunikationsbedürfnis Grundvoraussetzungen und Wesensmerkmale der ersten Konzerte und "Konzerthäuser" waren. Gaststätten und Tanzsäle wie einst würden heute zwar - mit gutem Grund - nicht mehr als Konzerthäuser dienen; genauso wenig aber entspräche die beinahe sakrale Atmosphäre, die der Konzerthaus-Kultur des späten 19. Jahrhunderts eigen war, der heutigen Realität. "Konzerthäuser sind Orte der Begegnungen und der Lebendigkeit - und es gibt nichts Schöneres, als Konzerte in Stille für sich zu genießen, dabei zugleich die Gemeinschaft der anderen Konzertbesucher und der Musiker zu spüren und nach dem Konzert irgendwie verwandelt wieder hinauszutreten in unseren Alltag."

Die mitreißende Energie, die ein Konzert mit teils bis zu 100 Musikern auf der Bühne entfachen kann, werden zwei Dutzend spontan begeisterter Studentinnen und Studenten des Instituts, denen Wolfgang Flad Freikarten spendiert hat, jetzt mit dem Staatsorchester Stuttgart erleben. Auf dem Programm der Sinfoniekonzerte am 14. und 15. Mai im Beethovensaal der Liederhalle steht ein Violinkonzert von Victor Kissine mit dem weltberühmten Geiger Gidon Kremer als Solisten sowie die "Manfred-Sinfonie" von Peter Tschaikowsky, auf die Rafael Rennicke zum Abschluss seines Gastvortrags neugierig machte. Ein spannendes Abenteuer - vielleicht sogar mit Langzeitwirkung - dürfte den jungen Hörern gewiss sein.

Bert Kuhlen

 

Rafael Rennicke ist Konzertdramaturg an der Oper Stuttgart. Er ist verantwortlich für die Programmgestaltung der Sinfoniekonzerte, Kammerkonzerte und Lunchkonzerte des Staatsorchesters Stuttgart sowie für deren Vermittlung an das Publikum in Form von Konzerteinführungen und Künstlergesprächen. Er wurde 1979 in Rottweil geboren, spielte in seiner Kindheit und Jugend Klavier und Violoncello, gewann zahlreiche Preise beim Wettbewerb "Jugend musiziert" - und studierte nach dem Abitur dann doch nicht Musik, sondern Musikwissenschaft und Allgemeine Rhetorik an der Universität Tübingen, wo er demnächst seinen Doktor-Titel erwerben wird. Rafael Rennicke - Foto Christina Körte Körber-Stiftung Nachdem er für mehrere Jahre eine musikjournalistische Laufbahn eingeschlagen hatte und für zahlreiche Fachzeitschriften sowie als Musikkritiker für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" schrieb, zog es ihn hin zur Kunst und den Künstlern. Als Dramaturg kann er jetzt seiner Leidenschaft nachgehen, gemeinsam mit Dirigenten, Solisten und den 130 Mitgliedern des Staatsorchesters Stuttgart Musik-Erleben zu gestalten und seine Liebe für die Musik an sein Publikum weiterzugeben.

» Rafael Rennicke im Blog der Oper Stuttgart