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Institut Dr. Flad
Berufskolleg für Chemie, Pharmazie, Biotechnologie und Umwelt

Ausbildung mit Markenzeichen. Seit 1951.

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Lebendige Chemie
Wertedenken für die Chemie

Prof. Dr. Thisbe K. Lindhorst
Präsidentin der GDCh

größer "Von der Weisheit, die der Natur innewohnt, ist die Chemie immer noch weit entfernt."
Diese These bildete den Auftakt des Vortrages, mit dem die Präsidentin der GDCh, Frau Professor Dr. Lindhorst, die 18. Stuttgarter Chemietage eröffnete.

Nach wie vor steht die Chemie im Ruf, Probleme, die uns weltweit herausfordern, eher zu verursachen als sie zu lösen. Dass die Chemie auch Probleme erzeugt, zeigte Frau Professor Lindhorst am Beispiel von Produkten, die z.B. in den 1970er Jahren entwickelt wurden, wie viele Kunststoffe. Die Haltbarkeit von Plastikwaren ist an sich nichts Schlechtes. Nachhaltigkeit bei Entwicklung und Produktion ist durchaus zu begrüßen, ist erwünscht. Doch wenn diese Kunststoffe z.B. die Ozeane verschmutzen, schlägt ihr Nutzen ins Gegenteil um: Unser gesamtes Ökosystem wird nachhaltig gestört.

größer Deshalb muss die Chemie aus Fehlern möglichst schnell lernen, ohne dass die Tradition insgesamt über Bord geworfen wird, so die Präsidentin der GDCh.
Lebendige Chemie muss aktuelle Herausforderungen annehmen; sie muss Antworten finden für drängende globale Probleme.
Dazu ist es unabdingbar, dass sich Chemiker der ethischen Verantwortung für unsere Zukunft bewusst sind.

Wertedenken setzt (Nach-)Denken voraus. Dies führt zu folgender Erkenntnis: Chemie muss in dem Sinne lebendig sein, dass sie dem Lebendigen, dem Leben dient. Sie muss die Schöpfung achten, sie muss positive Signale an die Gesellschaft senden, sie muss die Weisheiten der Natur respektieren, wenn sie Antworten finden will auf die Frage, "was die Welt im Innersten zusammenhält."

Wie das konkret aussehen könnte, zeigte Frau Professor Lindhorst am Beispiel ihrer aktuellen Forschungen am Otto-Diels-Institut für Organische Chemie an der Universität Kiel.

größer Die "Zuckerchemie" steht seit vielen Jahren im Mittelpunkt ihrer Forschungen. Ausgangspunkt der Forschungen ist die Erkenntnis, dass jede Zelle von einer Schicht komplexer Kohlenhydrate umgeben ist. Diese Schicht, die Glykokalyx, kann man sich als eine Art Zuckerwatte vorstellen.

Sehr anschaulich demonstrierte die Referentin am Beispiel eines Blumengebindes im Hörsaal, wie differenziert diese Glykokalyx aufgebaut ist und in welch vielfältiger Art und Weise Interaktion zwischen Zellen stattfindet.

Lebendige Chemie - Chemie des Lebens: Unsere Blutgruppenzugehörigkeit wird durch die Glykokalyx der Erythrozyten, der roten Blutkörperchen, bestimmt. Das Immunsystem ist in der Lage, die Information, die in Glykoproteinen und Glykolpiden der Glykokalyx steckt, zu decodieren. Körperfremde Glykoproteine werden erkannt und aussortiert.

Des Weiteren beschäftigte sich Frau Professor Lindhorst in ihrem Vortrag mit der Diversität der Zucker. Im Vergleich zur DNA, zum Genom eines Organismus, das weitgehend gleich bleibt, verändert sich das Glykom, die Gesamtheit aller Kohlenhydrate eines Lebewesens ständig. Dabei ist die Kombinationsvielfalt der Zuckermoleküle schier unendlich.

größer Für die Besiedelung der Zellen durch Bakterien hat dies weitreichende Konsequenzen. Mikroben heften sich an Zuckerstrukturen der Glykokalyx. Macht die Glykokalyx krank? Unter Umständen kann das Gleichgewicht der Zellen durch nasale, orale, urogenitale Bakterienbesiedelung gestört sein. Wie findet diese Besiedelung genau statt? Kann sie verhindert, kontrolliert oder gestoppt werden?

Dazu bietet das breite Spektrum der "Zuckerchemie" viele praktische Anwendungsmöglichkeiten, die auch in der Medizin bedeutend sein können. Als Beispiel führte Frau Professor Lindhorst die Anti-Adhäsions-Therapie an. Bei Harnwegsinfektionen, bei der Bekämpfung von Zahnplaque und nicht zuletzt als Ersatz für herkömmliche Antibiotika ergeben sich neue Perspektiven. Überhaupt bietet die Erkenntnis der Forscher, dass bakterielle Adhäsion quasi an-und ausgeschaltet werden kann, faszinierende Ansätze für die Zukunft: Chemie zum Wohle der Menschheit!

Abschließend widmete sich die Präsidentin der GDCh der Frage "Wie geht eigentlich Forschung?"

Sie gab den vielen Zuhörern vier "Rezepte" mit auf den Weg:

  1. Ausgetretene Pfade verlassen und auf eigene Intuition, gepaart mit Wissen, Erfahrung, Inspiration und Imagination, vertrauen;
  2. Serendipity: Das Glück der Tüchtigen allein hilft nicht. Es setzt zudem Intelligenz, Vorbildung und Fantasie voraus;
  3. Orientierung an Vorbildern, z. B. an Nobelpreisträgern;
  4. Visionen haben wie August Kekulé, der auf der Suche nach der Benzolformel nie aufgab.

Angela Schmitt-Bucher

 
Montag, 2. Oktober 2017, 13.00 Uhr
Vortrag am Institut Dr. Flad
 
Prof. Dr. Thisbe K. Lindhorst
Lebendige Chemie
Prof. Dr. Thisbe K. Lindhorst: Lebendige Chemie
 

Es ist mir ein Anliegen, dass Chemie lebendig ist; dass wir sie nicht losgelöst vom Leben vorantreiben, sondern mit Respekt vor der Schöpfung. Nur so kann sie dem Wohle der Menschheit dienen.

Von der Weisheit, die der Natur innewohnt, ist die Chemie immer noch weit entfernt. Aber sie hat in den letzten Jahrzehnten enorme Fortschritte gemacht, so dass z.B. unser molekulares Verständnis von den Prozessen des Lebens heute ein ganz anderes ist als noch vor 20 Jahren. Aber was uns "im Innersten zusammenhält" ist längst noch nicht umfänglich geklärt. Gene kodieren den Plan, Proteine führen ihn aus und dann fügt die molekulare Vielfalt der Zucker jeder Zelle noch eine ganz eigene, individuelle Note zu.

Dazu gibt es von zweierlei zu berichten, von neuen Erkenntnissen und von neuen Fragen.

 
 
Prof. Dr. Thisbe K. Lindhorst Prof. Dr. Thisbe K. Lindhorst

Chemiestudium an der LMU München und der Uni Münster, Promotion an der Uni Hamburg, Post-Doc-Aufenthalt an der UBC Vancouver und Habilitation in Hamburg (1988). Seit 2000 Professorin an der Uni zu Kiel (Organ. und Biolog. Chemie). Gastprof. an den Unis Ottawa und Orléans. Präsidentin 2016/17 der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh).

 

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