"Gefilte Fisch" Birute Stern zu Besuch im Institut Dr. Flad
"Gefilte Fisch" - so lautet der Titel einer Autobiographie, die der jüdische Schriftsteller Max Fürst bereits 1973 schrieb.
Birute Stern, seine Tochter, besuchte unmittelbar nach den Osterferien das Institut und brachte den Schülern durch eine Kombination von Filmvorführung, Kommentar und auszugsweiser Lesung aus den Werken ihres Vaters die Zeit zwischen 1920 und 1950 nahe.
Eigentlich ist "gefilte Fisch" eine jüdische Spezialität, eine Art Nationalgericht, das sich dadurch auszeichnet, das dem Fisch die Gräten entnommen werden und er anschließend sehr lecker gefüllt wird. Der Fisch als Allegorie für das Leben- so wie im Fisch Gräten stecken können, so kann auch das Leben viele Widrigkeiten aufweisen. Das musste der Vater unserer Referentin sehr früh erleben.
Max Fürst wurde 1905 als Sohn jüdischer Eltern im ostpreußischen Königsberg geboren. Sein Umfeld war bürgerlich geprägt und das religiöse Judentum spielte so gut wie keine Rolle. Im Gegenteil: Max Fürst beschreibt in seinem Buch, wie "abstrus" der Familie die orthodoxen Juden erschienen. Sein Lebensweg in einer liberal gesinnten Umgebung schien vorgezeichnet, doch der Sohn weicht vom üblichen Weg ab und die Eltern haben die ersten Gräten zu schlucken. Max verlässt das verhasste Gymnasium vorzeitig, um eine Lehre als Tischler zu beginnen.
Sein eigentlicher Wunsch war es, Straßenfeger zu werden. Straßenfeger schaffen Ordnung, Sauberkeit und beseitigen das Chaos, so seine Tochter, deren Vorname Birute mit "Besen" übersetzt werden kann. Politisch zeichneten sich bereits zu Beginn der zwanziger Jahre chaotische Zustände ab. Erneut erteilt der junge Max den Vorstellungen seiner Eltern eine Absage, denn er beschäftigt sich intensiv mit Politik und fühlt sich den Sozialisten und Kommunisten verbunden. Die jüdische Wanderbewegung bot die ideale Plattform, da sie weit mehr war als eine an der Romantik orientierte Modeerscheinung: "Wir sind jung, die Welt ist offen", so das Motto der Mitglieder. Zeit seines Lebens war sich Max Fürst des hohen Stellenwertes der Bildung bewusst und er hat als Fürsorger bzw. Sozialarbeiter die Theorien auch in Taten umgesetzt.
Das politische Umfeld der Weimarer Republik ist geprägt von einer hohen Inflationsrate, steigender Arbeitslosigkeit und zunehmender Unzufriedenheit- eine gefährliche Mischung, die den Nährboden bietet für den rasanten Aufstieg der NSDAP. Für die jüdische Familie Fürst und ihre sozialistischen und kommunistischen Freunde besteht seit der Machtübernahme durch Hitler akute Gefahr.
Bereits 1933 wurden sowohl die Mutter als auch der Vater von Frau Stern verhaftet und in das KZ Oranienburg gesteckt. Der Vater kommt 1934 frei, die Mutter bleibt etliche Monate länger inhaftiert. Welche Macht und Stärke durch die Liebe freigesetzt wird, verdeutlichte die Tochter, als sie den Schülern aus den Briefen ihres Vaters vorlas, die dieser an die Mutter Margot ins KZ schickte.
Auch die engsten Freunde werden verhaftet, misshandelt und gefoltert, so dass etliche von ihnen keinen anderen Ausweg mehr sahen als Selbstmord zu begehen. Unter diesen Umständen entschließt sich die Familie 1935, Deutschland zu verlassen und nach Palästina auszuwandern. Seither zieht sich die Thematik Heimatverbundenheit bzw. Heimatvertreibung wie ein roter Faden durch das Leben von Frau Stern.
1950 kehrt die Familie nach Deutschland zurück. Die zionistische Doktrin des jungen Staates Israel war mit den Grundüberzeugungen der Fürsts nicht vereinbar, ein unkritischer Nationalismus lag ihnen fern. Die damaligen Probleme Israels sind auch die heutigen, so Birute Stern. Grenzen vorrangig mit militärischer Macht und Gewalt zu sichern sei keine tragfähige Lösung.
Unermüdlich wirkt Frau Stern, inzwischen 76 Jahre alt, im Sinne ihres Vaters. Sie versucht jungen Menschen beizubringen, wie wichtig es ist, Standpunkte im Leben zu finden bzw. zu haben- auch und gerade dann, wenn der "gefilte Fisch" Gräten enthält, das Leben also auch Unangenehmes bedeutet.
Literaturtipp, da nicht amüsant, aber interessant (Zitat W. Flad):
1.) Max Fürst, Gefilte Fisch - Eine Jugend in Königsberg, dtv
2.) Max Fürst, Talisman Scheherezade - Die schwierigen zwanziger Jahre, Hanser
Beide Bücher stehen in der Institutsbibliothek: Sie warten darauf, entliehen und gelesen zu werden!
Angela Schmitt-Bucher
|