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Institut Dr. Flad
Berufskolleg für Chemie, Pharmazie, Biotechnologie und Umwelt

Ausbildung mit Markenzeichen. Seit 1951.

"Flüssigkristalle - die wissenschaftliche Revolution im Wohnzimmer"

Dr. Thomas Geelhaar

Chief Technology Officer Chemicals, Merck, Darmstadt
Präsident der Gesellschaft Deutscher Chemiker, Frankfurt
Gastvortrag am 25. Februar 2015 im Institut Dr. Flad

"Flüssigkristalle - die wissenschaftliche Revolution im Wohnzimmer"
Dr. Thomas Geelhaar

größer Zum Auftakt der Vortragsreihe im zweiten Schulhalbjahr begrüßte Schulleiter Wolfgang Flad den Präsidenten der Gesellschaft Deutscher Chemiker. Dr. Thomas Geelhaar ist Chief Technology Officer Chemicals beim Darmstädter Unternehmen Merck und ein besonderes Anliegen ist es ihm, die Bedeutung der Chemie für die Gesellschaft zu vermitteln.

Tagtäglich nutzen wir Handy, Tablet-Computer, Fernseher... , ohne uns bewusst zu sein, welch herausragende Rolle hierbei die Flüssigkristalle spielen.

Sein Vortrag nahm die zahlreich erschienenen Zuhörer mit auf eine Art Reise. Die Entdeckung der Flüssigkristalle, deren besondere physikalisch-chemische Eigenschaften sowie die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten waren einzelne Stationen seiner kurzweiligen Ausführungen, die zeitweise an einen Wissenschaftskrimi erinnerten.

Wo ist die Grenze zu ziehen zwischen belebter und unbelebter Natur? Wem gebührt die Ehre der Entdeckung der Flüssigkristalle bzw. der Entdeckung ihrer Bedeutung? Selbst heute, ca. 130 Jahre nach der ersten Erwähnung, gibt es keine endgültige Antwort, obwohl die Erforschung der Flüssigkristalle einerseits ein Paradebeispiel ist für interdisziplinäre Zusammenarbeit. Andererseits ist sie ein Paradebeispiel dafür, dass wegen Konkurrenzdenkens wichtige Beiträge von Kollegen schlicht unterschlagen werden.

größer Die erste Beschäftigung mit Flüssigkristallen fällt in das Jahr 1888. Der Botaniker Friedrich Reinitzer extrahierte Cholesteryl aus Karotten. Beim Aufheizen und Schmelzen fiel ihm ein Phänomen auf: Zunächst verwandelte sich Cholesterylbenzoat beim Erhitzen in eine milchige Flüssigkeit; bei noch stärkerem Aufheizen wurde es transparent und beim Abkühlen verfärbte es sich bläulich. Reinitzer fand dafür keine Erklärung. In seiner Not wandte er sich an den Physiker Otto Lehmann, der über ein Polarisationsmikroskop verfügte.
Lehmann war es auch, der als Erster einen Artikel über "fließende Kristalle" publizierte, ohne Reinitzer auch nur mit einer Silbe zu erwähnen.

Bereits 1905 wurde den Flüssigkristallen in Meyers Großem Konversationslexikon ein eigener Eintrag gewidmet. Dies überrascht umso mehr, da kein eigentliches Verständnis der Materie vorhanden war. Vielmehr wechselten sich Faszination und Spekulation ab: Wo verläuft die Grenze zwischen belebter und unbelebter Natur?

In diese Zeit fällt auch die Rolle von Emanuel Merck, der ein besonderes Interesse an der Reinheit von Substanzen hatte. Der Briefwechsel zwischen Merck und Lehmann offenbart das ganze Dilemma der Diskussion um die Natur der flüssigen Kristalle. Kritiker bzw. Skeptiker stellten generell die Existenz eines flüssigkristallinen Zustandes in Frage. Dr. Geelhaar zitierte in diesem Zusammenhang Max Planck. Sinngemäß hatte dieser festgestellt, dass eine Idee sich erst dann durchsetzt, wenn deren Gegner ausgestorben sind.

Es war schließlich der Geologe Prof. Georges Friedel, der mit seinen Forschungen 1922 die Grundlagen schuf für den Siegeszug der Flüssigkristalle. In einem 200 Seiten umfassenden Artikel beschrieb Friedel spezifische organische Verbindungen, die in bestimmten Temperaturbereichen Kristallstrukturen bilden. Es tritt eine nematische, smektische und cholesterische Phase auf. Zwischen der festen und der flüssigen Phase tritt eine Zwischenphase, die Mesophase, auf. Des Weiteren kann man beobachten, dass sich durch das Anlegen äußerer Felder optische Eigenschaften ändern. Wie bei den Kristallen treten auch bei den Flüssigkristallen Effekte wie Doppelbrechung und optische Rotation auf.

Die Fluidität einerseits und die Anisotropie andererseits prädestinieren die Flüssigkristalle geradezu für den Einsatz in Displays. 1965 schlug in den USA die Stunde für die Liquid Crystal Displays.

Drei Jahre später begannen auch bei Merck die Forschungen an den vermeintlich "überflüssigen" Kristallen. Bereits 1971 war ein erster Durchbruch geschafft, aber es sollten noch fast 30 Jahre Durststrecke vor den Forschern liegen, ehe ihre Bemühungen im Jahr 2003 mit der Verleihung des Deutschen Zukunftspreises durch Bundespräsident Rau belohnt wurden.

größer Dr. Thomas Geelhaar, Chief Technology Officer Chemicals bei Merck, machte eines deutlich: Ein Unternehmen braucht einen langen Atem, ehe sich langjährige Grundlagenforschung in barer Münze auszahlt, bis sich ein Produkt nach langer Entwicklungszeit schließlich erfolgreich auf dem Markt behaupten kann. Anhand einer Umsatzkurve demonstrierte er eindrucksvoll, welch schweren Stand die LCD-Produkte zu Beginn ihrer Markteinführung hatten. Dies hat sich grundlegend geändert. Merck gehört zu den Weltmarktführern dieser Technologie. Mehr als vier Milliarden Menschen profitieren von ihr bei der mobilen Kommunikation.

1888 machte Friedrich Reinitzer seine bahnbrechende Entdeckung. Hundert Jahre später, 1991, erhielt Pierre-Gilles de Gennes für seine Forschungsarbeiten über die Flüssigkristalle den Nobelpreis für Physik.

Seither ist ihr Siegeszug nicht mehr aufzuhalten. In seinem "Ausblick" auf die zukünftigen Anwendungsmöglichkeiten verwies Dr. Geelhaar auf vielfältige Potenziale. Wesentlich größere Fernseh-Bildschirme, dreidimensionales Fernsehen, gebogene Displays, OLEDs, Einsatzmöglichkeiten u.a. in der Küche, alles gepaart mit Energieeffizienz, sind in naher Zukunft realisierbar.

Zum Abschluss seines Vortrages - die Bedeutung der Chemie für unseren Alltag wurde sehr anschaulich vermittelt - präsentierte Dr. Geelhaar ein faszinierendes Foto eines kurzen DNA-Doppelstranges: Die flüssig-kristalline Phase wirft wie vor ca. 130 Jahren die altbekannte Frage auf: Wo verläuft die Grenze zwischen belebter und unbelebter Natur?

Anschließend beantwortete der Referent noch Fragen der interessierten Zuhörer, die sich schon jetzt auf ein Wiedersehen mit Dr. Geelhaar bei den 17. Stuttgarter Chemietagen freuen dürfen.

Angela Schmitt-Bucher

 

Heute sind Flüssigkristalle in vielen Bereichen unseres Lebens kaum noch wegzudenken - kaum ein anderes High-Tech-Material hat in den letzten Jahren so schnell eine solche Verarbeitung gefunden. Millionen von Nutzern eines Tablet-Computers erfreuen sich heute am brillanten Display, ohne dabei dieses mit den Flüssigkristallen zwischen den Glasplättchen und Polarisatoren in Verbindung zu bringen.

Wie kam es aber 1888 zu deren Entwicklung? Der Vortrag beschrieb die Geschichte der Flüssigkristalle, den Gelehrtenstreit nach Reinitzers Entdeckung, die Erfindungen zu deren Anwendung in Displays und deren kommerzieller Erfolg. Denn heute nutzen sie über 4 Milliarden Menschen bei ihrer mobilen Kommunikation.