Hätte Spiderman besser aufgepasst, könnte er noch leben
Prof. Dr. Thomas Scheibel, Uni Bayreuth, sprach im Rahmen der 18. Stuttgarter Chemietage im Institut Dr. Flad über die Eigenschaften und Einsatzmöglichkeiten von Spinnenseide.
Viele werden Spiderman, den Spinnenmenschen, aus Comics oder Filmen kennen oder haben von ihm gehört In „Amazing Fantasy“ dem ersten Film, der von ihm handelt, wird 1962 seine Entstehungsgeschichte beschrieben. Der Waise Peter Parker ist am Anfang ein schüchterner Junge. Er entwickelt aber Superkräfte, nachdem er von einer radioaktiv verseuchten Spinne gebissen wurde. Er wird dadurch zum Spinnenmann und erlangt eine proportional vergrößerte Kraft, die Geschwindigkeit und die Wendigkeit einer Spinne, dazu die Fähigkeit, Wände zu erklettern und er denkt und handelt wie eine Spinne. Er gibt sich darauf den Namen Spiderman, näht sich ein rot-blaues Kostüm mit Spinnenmotiven und erfindet Netzdrüsen mit einer Netzflüssigkeit. Damit kann er verschiedene Netze spinnen - von elastischen Tauen, mit deren Hilfe er sich von Haus zu Haus schwingen kann, bis zu stabilen Fangnetzen oder Fesseln, um Verbrecher einzuschnüren. Seine Fähigkeit als Superheld nutzt er zur Verbrecherjagd auf Superschurken. Sein Leben findet aber aufgrund von Materialversagen ein unerwartetes Ende, weil er, wie Prof. Scheibel feststellte, nicht richtig aufgepasst hat, als es um die Herstellung von Spinnenseide ging. Denn er versucht mittels Extrusion aus einer Drüse ein ganzes Netz herzustellen, was nicht gelingt, weil eine Drüse kein ganzes Netz aus verschiedenen Fasern herstellen kann.
Dass Spiderman nach über 50 Jahren sein Publikum immer noch fasziniert, zeigt sich daran, dass er in wiedergeborener Form in diesem Jahr mit „Homecoming“ in einem neuen Film wieder in die Kinos gekommen ist.
Natürlich beschäftigen sich Wissenschaftler, die über Biomaterialien forschen, nicht mit der Comicfigur Spiderman.
Spinnenseide und andere von Tieren produzierte Klebstoffe und Befestigungssysteme sind aber ein Themengebiet in der Biotechnologie, das in den letzten Jahren in den Mittelpunkt des Interesses der Forscher geraten ist, weil sie in der Zukunft für medizinische und technische Zwecke Verwendung finden können. Weltweit forschen Wissenschaftler über dieses Thema, so ist z. B. die Zecke ein interessantes Beispiel für natürliche Befestigungssysteme, weil sie mit ihrem Mundwerkzeug eine Art Biozement produziert, um die Haftung am Opfer zu verstärken. Auch der amerikanische Marmor-Querzahnmolch hat eine Klebetechnik entwickelt. Er sondert aus seinen Hautdrüsen einen Sekundenkleber, der der angreifenden Schlange das Maul zuklebt.
Im Mittelpunkt der Arbeit von Prof. Scheibel stehen aber die Eigenschaften und Einsatzmöglichkeiten der Spinnenseide. Prof. Scheibel ist nach dem Studium der Biochemie in Regensburg auch dort promoviert worden, hat dann seine Studien an der University of Chicago fortgesetzt und sich anschließend an der TU München habilitiert. Seit 2007 ist er Professor am Lehrstuhl Biomaterialien der Universität Bayreuth, wo es ihm zusammen mit seinem Team den Prozess der Fadenherstellung bei Spinnen zu entschlüsseln. Er ist außerdem Initiator und Gesellschafter der Firma AMSilk GmbH, einem Tochterunternehmen der TU München. Er hat eine große Zahl von wissenschaftlichen Preisen erhalten und ist Autor von zahlreichen Publikationen.
Prof. Scheibel wies bereits zu Beginn seines Vortrags darauf hin, dass die positiven Erkenntnisse über Spinnenseide nicht neu seien. Sie ist fünfmal fester als Stahl, dabei extrem elastisch, sehr dünn und zudem biokompatibel. Diese Eigenschaften machen sie zu einem Wundermittel für Medizin und Technik. Schon Griechen und Römer setzten Spinnenseide als Wundauflage ein. Auch die moderne Medizin interessiert sich für die Fäden der Spinne. Sie sind zellverträglich, Bakterien mögen sie nicht und der Körper baut sie ab, da er die Seidenproteine in Wasser und Aminosäuren ohne Rückstände aufspaltet. Außerdem hat Spinnenseide ein Formgedächtnis und leiert nicht aus. Ein Problem stellt aber noch die Gewinnung von Spinnenseide in größerem Maßstab dar. Aus lebenden Spinnen kann man sie nicht gewinnen. Forscher versuchten das an der Medizinischen Hochschule Hannover. Dort wurden die Spinnen zweimal in der Woche gemolken, das ergab 200 m Seide. Mehr wäre möglich gewesen, aber das hätte die Tiere überanstrengt und die Qualität der Seide hätte gelitten. Eine Art Spinnenfarming funktioniert also nicht, auch weil die Tiere dort gefüttert werden und auch deshalb die Qualität der Seide leidet. Es sei, so Scheibel, wie bei einem Sportler, der nicht mehr trainierte und dessen Fähigkeiten dadurch nachließen. Native Spinnenseide gilt zudem als Medizinprodukt und ist zum medizinischen Einsatz nicht zugelassen, weil es zu den erwähnten Qualitätsschwankungen kommt und die geringe Menge für den industriellen Einsatz nicht ausreicht.
An diesem Problem setzt nun Professor Scheibel an. Sein Ziel ist es, den biologischen Vorgang zu entschlüsseln und ihn dann technisch nutzbar zu machen. Am Beispiel der Termiten konnte er zeigen, wie die Fähigkeit dieser Tiere, in ihrem Bau eine konstante Temperatur zu halten in der heutigen Bautechnik Verwendung findet. Als weiteres Beispiel nannte er den bekannten Lotuseffekt, der das Lotusblatt immer sauber hält, weil es eine wasserabweisende Struktur aufweist.
Es gibt heute schon Bionik-Produkte, das sind Farben, die diesen Effekt nachahmen und so dafür sorgen, dass Wände länger schmutzfrei bleiben.
Scheibel gelang es 2015 mit seinem Team den Prozess der Fadenherstellung zu entschlüsseln. Jede Faser aus Spinnenseide enthält Millionen von Proteinen, die kugelförmig angeordnet sind und so eine ungewollte Faserbildung verhindern. Die besonderen Eigenschaften der Spinnenseide sind Ergebnis des Zusammenspiels der drei Domänen eines jeden Proteins. Dies demonstrierte er an einem mit dieser Seide bespannten Squashschläger, der im Laborversuch 50 Tausend Mal mit einem Tennisball bespielt wurde, ohne dass die Faser riss. Das ist umso erstaunlicher, wenn man sich vor Augen hält, dass Spinnenseide nur ein Zehntel der Dicke eines menschlichen Haares hat. Keine andere Faser ist so belastbar. Hinzukommen die schon erwähnten Vorteile, Bakterien können an ihr nicht anhaften, sie kann keine Allergien auslösen, ist entzündungshemmend und wundheilend.
Nach der Entschlüsselung der Spinnenseideproteine stellte sich das Problem, wie man die Großproduktion von Spinnenseide bewerkstelligen konnte. Die Biotechnologie hat Wege gefunden. Man kann bei Spinnen gentechnisch die Erbinformation zur Fadenproduktion isolieren, überträgt dann das Gen auf einen Wirt, ein Darmbakterium, überträgt dann das Spinnenseidengen auf einen Transporter (Plasmid) und kann die Spinnenseidenproteine dann großtechnisch in Rührkesseln herstellen. Heute wird das bei der Firma AMSilk in bis zu 120 000 Liter großen Kesseln möglich.
In der Zwischenzeit sind über 20 verschiedene Seidenproteine im Portfolio. Jedes hat andere Eigenschaften und kann für verschiedene Zwecke eingesetzt werden. Anwendungsgebiete sind etwa Kosmetikprodukte, Scheibel stellte einen adidas-Laufschuh vor, dessen Oberteil komplett aus Seidenproteinen hergestellt worden war. Der Schuh ist wesentlich leichter als herkömmliche Schuhe und spart deshalb beim Laufen viel Energie. Ein weiteres wichtiges Produkt wäre ein mit Spinnenseide beschichtetes Brustimplantat, das Entzündungsreaktionen, die sogenannte Kapselfibrose, hemmt. Aber auch andere Produkte lassen sich durch den Einsatz von Spinnenseide verbessern. Die Herstellung von Schäumen, Fäden, Hydrogelen oder Staubsaugerbeuteln ist möglich, wobei bei diesen der große Vorteil in der Energieersparnis beim Saugen liegt. Die Saugleistung ist gleich wie bei herkömmlichen Staubsaugerbeuteln, aber der Volumenstrom ist mit Spinnseidebeuteln wesentlich geringer.
Auch in der Fahrzeugtechnik können Materialien aus Spinnenseide in der Zukunft zu Reduktion des Kraftstoffverbrauchs und zu größerer Umweltverträglichkeit führen, weil sie wesentlich leichter als herkömmliche Materialien sind. Auch im medizinischen Bereich sind wesentliche Fortschritte zu erhoffen. Scheibel stellte einen 3 D-Drucker vor, mit dem man die Seide zusammen mit Zellen als „Biotinte“ verdrucken kann. Hierdurch bietet sich möglicherweise die Chance der Regeneration von Herzgewebe.. Da Herzmuskelzellen nicht wandern können, können sie auch nicht einwachsen. Die neue Technik - Biofabrikation genannt - könnte hier Abhilfe schaffen, weil der Chirurg bereits im OP Spinnenseide-Herzmuskelzellengewebe, das im 3D-Drucker hergestellt wird, an die durch einen Infarkt geschädigte Stelle transportieren könnte. Die Spinnenseide würde dann nach und nach durch körpereigenes Gewebe ersetzt.
Professor Scheibel zeigte in seinem spannenden Vortrag den zahlreichen Zuhörern ein faszinierendes Bild von zukünftigen Einsatzmöglichkeiten eines industriell hergestellten, natürlichen Produkts.
Siegfried Kümmerle
Mittwoch, 4. Oktober 2017, 13.00 Uhr
Vortrag am Institut Dr. Flad
Prof. Dr. Thomas Scheibel
Was Spiderman besser wissen sollte - Oder: Was wir von der Natur lernen können
Spiderman, der berühmte Comic-Held, macht aus wissenschaftlicher Sicht so ziemlich
alles falsch, was man falsch machen kann. Wenn er am Schluss an Materialversagen
stirbt, dann hat er nicht genau genug hingeschaut, womit die Natur sein
Vorbild ausgestattet hat. Was fasziniert die Menschen seit langem an Spinnenseide?
Das ist eine Kombination von Eigenschaften, wie man sie in dieser Zusammensetzung
nirgendwo anders findet: zum einen eine besondere mechanische Eigenschaft,
nämlich die Verbindung aus einer großen Reißfestigkeit mit einer hohen Belastbarkeit,
zum anderen ist es ihre Biokompatibilität, die sie für die Medizintechnik attraktiv
erscheinen lässt. Denn Spinnenseide ruft keine Allergien hervor, wirkt entzündungshemmend
und wundheilungsfördernd. Über das faszinierende Material Spinnenseide
und die technischen Möglichkeiten, dieses ohne Spinnen herzustellen,
handelt dieser Vortrag ebenso, wie über erste technische, medizintechnische und
kosmetische Produkte.
Diplom (Biochemie) und
Promotion an der Uni
Regensburg, Habilitation
an der TU München,
Postdoc an der Uni
Chicago (USA). Gewinner
zahlreicher Preise.
Inhaber des Lehrstuhls
für Biomaterialien an
der Uni Bayreuth. Seit
2014 Mitglied der acatec
und seit 2016 Vizepräsident
der Uni Bayreuth
für Internationale Angelegenheiten
und Chancengleichheit.