"Meine vier Leben - Weißrussland, Polen, Israel und Deutschland" - die Stuttgarter Künstlerin Mina Gampel liest im Institut aus ihrer Autobiografie
"Mein Leben war stürmisch, oft wie ein Gewitter - Regen, Donner, Blitze - doch plötzlich schien wieder die Sonne." Mit diesen Worten eröffnete Mina Gampel im Institut die Lesung aus ihrer Autobiografie. Gampel wurde im August 1940, als jüngstes von acht Kindern, in Pinsk, einem kleinen jüdischen Schtetl im heutigen Weißrussland, geboren. Schon ein Jahr später ergriff ihre Familie die Flucht vor den in die Sowjetunion einmarschierenden Deutschen. Zuflucht fanden sie während der Kriegsjahre im weit hinter dem Ural gelegenen Frunse (heute Bischkek). Eine gefährliche und beschwerliche Zeit, teilweise ohne Vater, der von der Roten Armee eingezogen wurde, und verbunden mit harter Arbeit für die älteren Geschwister. Die frohe Nachricht vom Kriegsende nährte die Hoffnung der Familie auf eine Rückkehr nach Weißrussland, die ihr aber verwehrt blieb. Stattdessen zogen sie nach Stettin, wo Mina Gampel ihre weiteren Kinder- und Jugendjahre verlebte. Während ihrer Lesung bezeichnet sie diese Zeit als die "beste ihres Lebens", in der es ihr an nichts fehlte. Damals lernte sie auch ihren Mann kennen, heiratete und siedelte mit ihm 1957 nach Israel über. Dort bekam Gampel ihre drei Kinder, alles Jungen, die von da an für viele Jahre ihr Leben ausfüllen sollten. Obwohl sie sich in Israel sehr wohlfühlt und ihre Kinder dort zur Schule gehen, zieht sie 1967 wegen ihres Vaters mit der ganzen Familie nach Deutschland, verbunden mit dem Gefühl großer Ungewissheit. Wieder erwartet sie ein neuer Kulturkreis, eine neue Sprache, ein neues Leben.
Von diesen verschiedenen Leben, in denen sie zum Teil Schreckliches erlebt hat, erzählt Mina Gampel in ihrem Buch, aus dem sie Ausschnitte vorliest. Sie berichtete von zahlreichen Hindernissen, die sie überwinden musste. Für Gampel sind sie Salz und Pfeffer in der Suppe des Lebens - ihre war sicher besonders pikant! Oft genug hatte sie das Gefühl, das Heft des Handelns nicht selbst in der Hand zu halten. Aber sie hat immer versucht, auch aus schwierigen Situationen das Beste zu machen. Ihre Botschaft ist: Niemals aufgeben! In ihrer humorvollen Art merkt sie an, dass man dazu meist auch ein bisschen Massel braucht, wenn man im Schlamassel sitzt. Außerdem halfen Mina Gampel ihre selbst formulierten 10 Gebote, die verschiedenen Herausforderungen zu meistern: Gib nicht auf - Mach weiter - Sei nicht verbittert - Stehe zu Problemen - Lerne - Verändere dich - Klage nicht - Wage Neues - Tu alles mit Liebe - Vertraue Gott. Diese Lebensmaximen gibt sie gerne an andere Menschen weiter.
Darüber hinaus erfahren die ZuhörerInnen an diesem Vormittag, dass Mina Gampel erst im fortgeschrittenen Alter, als ihre Kinder aus dem Haus waren, damit begonnen hat, sich mit ihrer persönlichen und mit der jüdischen Geschichte intensiver zu beschäftigen. Dafür ist sie bis heute umso wissbegieriger und saugt alles Wissen auf, wie ein Schwamm. Auch zum Malen hat Gampel erst spät gefunden, obwohl das Interesse daran schon als Kind vorhanden war. Ihr künstlerisches Schaffen ist von jüdischen Motiven geprägt. Sie versucht, verschiedene Charaktere einzufangen, Liebe, Leben und Hoffnung auszudrücken.
Seit nunmehr 50 Jahren lebt Mina Gampel in Stuttgart, hat hier viele Freunde und empfindet Deutschland als Heimat. Und das, obwohl sie unter Menschen lebt, deren Vorfahren ihrer Familie und ihrem Volk unfassbares Leid angetan haben. Ihr Buch hat sie vielleicht auch deshalb den Verstorbenen, insbesondere den Opfern des europäischen Judenmords, gewidmet. Mit ihrer letzten Botschaft blickte Mina Gampel allerdings nicht zurück in die Vergangenheit sondern schaute in die Zukunft: Sie bekannte ganz ehrlich, dass ihr die derzeitige Situation der Welt Angst macht. Es sei wichtig, aus der Geschichte zu lernen statt Geschichte zu wiederholen. Deshalb wünscht sie sich, dass wir eine Welt schaffen, in der alle Nationen in Frieden zusammen leben. Dem ist an dieser Stelle nichts hinzuzufügen.
D. Blosat
Über die Künstlerin
Geboren wurde Mina Gampel in Pinsk, eine Stadt, die heute durch ihren barocken Stadtkern berühmt ist. Damals gehörte die Stadt zu Polen, heute liegt sie in Weißrussland. Ihren Geburtsort lernte sie nicht kennen, denn die Familie floh 1941 hinter den Ural und überlebte dadurch. Pinsk wurde im 1939 zunächst von sowjetischen Truppen besetzt, 1941 dann von deutschen. Die SS ermordete direkt nach der Besetzung fast 9000 jüdische Männer, später die gesamt jüdische Bevölkerung der Stadt. 1946 zog die Familie zurück nach Polen, nach Stettin. 1957 siedelte die Familie nach Israel über. Nach Deutschland kam Mina Gampel 1967. Seit 1969 lebt sie in Stuttgart. Ihre künstlerische Ausbildung absolvierte sie an der freien Kunstakademie Esslingen, die aus der 1960 gegründeten Esslinger Schule hervorgegangen ist. Und sie war an der Europäischen Kunstakademie der bildenden Künste in Trier. Seit 1993 unterrichtete sie selbst als Dozentin an der Kunstakademie Esslingen. Außerdem vertieft sie seit 2008 ihr künstlerisches Wissen durch das Studium der Kunstgeschichte und Philosophie an der Universität Stuttgart.
Links
- Website von Mina Gampel: minagampel.de
- Ausstellung: Mina Gampel stellt in der Synagoge Esslingen aus
Blogartikel von Klaus J. Loderer (September 2018) - Videobeitrag über Mina Gampels Vernissage in der Synagoge Esslingen (September 2018)