"Lern im Leben die Kunst, im Kunstwerk lerne das Leben // Siehst du das Eine recht, siehst du das Andere auch" - diese Zeilen Friedrich Hölderlins zieren als Schlusswort das Gästebuch des Theaterkellers im Institut Dr. Flad. Sie stehen als lyrisches Ausrufezeichen am Ende eines fulminanten Abends, der mit Musik und Magie - bei aller Wehmut im Bewusstsein des Abschieds - reiche Erkenntnis und spannende Unterhaltung im besten Sinne bot.
In seinem Rückblick erinnerte Gastgeber Wolfgang Flad an 46 Jahre Theaterkeller, beginnend beim Auftakt mit Hans-Peter Doll, dem damaligen Generalintendanten der Württembergischen Staatstheater, an Höhepunkte bekannter Künstler unterschiedlicher Genres, vor allem aber an die Begründung der Reihe "Musik im Gespräch" mit Roland Heuer und den "Asperger Kammersolisten" vor 16 Jahren. In fast 40 Konzerten erklangen Kostbarkeiten verschiedener Epochen bis hin zu Uraufführungen, mit Hingabe dargeboten von den "Kellermusikern" und einführend erläutert von Roland Heuer, dem Kopf und Herz der Reihe. Was gälte es doch zu sagen über diese in ihrer Konzeption wie Ausführung einmaligen Veranstaltungen, jedoch wissen wir von Victor Hugo, dass Musik das ausdrückt, was nicht gesagt werden kann, und worüber zu schweigen unmöglich ist.
Das treue Publikum dieses Abschiedsabends hatte das Privileg, den Primarius in einer ganz neuen Rolle zu erleben, nämlich als veritablen Zauberkünstler. Heuer, seit 1981 Mitglied des "Magischen Zirkels von Deutschland", hatte sich eine exklusive Einführung in diese geheimnisvolle Welt erdacht, ein berückendes Schauspiel, gegeben in fünf Akten, und, wie könnte es anders sein, mit musikalischen Leckerbissen.
Als Ouvertüre lockte eine feine Zusammenstellung dreier bekannter Melodien aus Bizets Carmen, mit erfrischender Spielfreude dargeboten von Roland Heuer (Violine), Ikuko Nishida-Heuer (Violine), Axel Breuch (Viola), Joachim Hess (Violoncello) und Stefan Koch-Roos (Kontrabass).
Die folgende Demonstration des von Harry Houdini erfundenen (und später öffentlich preisgegebenen) Tricks zur scheinbaren Verbindung zweier zuvor zerschnittener Seilstücke wurde von einem Intermezzo mit der Schere belebt, für dessen Folgen Heuer eine Tapferkeitsmedaille verdient hätte.
Hingegen blieb es aus gutem Grunde ein wohlgehütetes Geheimnis, wie sich Zeitungspapier in Geld verwandeln lässt, ebenso, wie Geldscheine von einem Ort verschwinden und an einem anderen wieder auftauchen können.
Sodann sorgte, anknüpfend an die bekannte Darstellung in Albrecht Dürers Kupferstich "Melencolia I" ein magisches Quadrat mit 16 Feldern für Begeisterung: in einer Dreiviertelminute gelang es Heuer, auf Zuruf der Zahl 69 ein solches Geviert auszufüllen, das mühelos alle Rechenproben bestand.
Die weiteren Kostproben der hohen Zauberkunst folgten auf dem Gebiet der mentalen Illusion. Seien es Hellsehen oder Gedankenlesen, die Infragestellung des Zufalls mittels Spielkarten, das Erraten geheimster Musikwünsche - all dies geschah mit humorvoller Leichtigkeit, mit glänzendem Esprit, machte alle Anwesenden Staunen. Doch nicht nur das: der Zaubermeister konnte bei seinen Kunststücken auf deren tatkräftige Unterstützung bauen, da sich mühelos Freiwillige fanden, die mutig und vergnügt in den einzelnen Nummern mitspielten.
Als großartig ausgewogen erwies sich die Mélange von gekonnt gewählten musikalischen Beiträgen auf gewohnt hohem Niveau, was stets den Reiz der Reihe ausgemacht hat. So gesellten sich zu zwei Stücken aus der Feder Astor Piazzollas (dem "Libertango von 1974 sowie dem morbiden "Oblivion", bei dem die Gitarre von Stefan Koch-Roos den Part des Bandoneons übernahm) der furiose Faust-Walzer von Charles Gounod sowie der meisterhafte "Ungarische Tanz Nr. 5" von Johannes Brahms in schwungvollster Art hinreißend dargeboten.
Überhaupt, der Tanz bildete, abgesehen von der wehmütigen Interpretation des durch Frank Sinatra bekannt gewordenen "My Way" und dem elegischen Moll von Gabriel Faurés "Après un rêve" den roten Faden des Abends. Als Reminiszenz an den komponierenden Wiener Zauberkünstler Johann Nepomuk Hofzinser erklang als Uraufführung die Streichquartett-Fassung eines seiner beschwingten Walzer.
Die Donaumetropole als Welthauptstadt der Musik sollte dann auch folgerichtig der Zielpunkt der zauberhaften Reise sein: Die bittersüßen Klänge des Kreisler‘schen "Schön Rosmarin", kunstvoll hingehaucht, die ambivalente Atmosphäre zwischen Lebensfreude und Wehmut, was hätte den Nerv des Publikums besser treffen und mit diesem Abend eine Ära würdig beschließen können?
Dem wären nur Worte aus dem Epilog Bertolt Brechts "Der gute Mensch von Sezuan" anzufügen: "Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen // Den Vorhang zu und alle Fragen offen."
Martin R. Handschuh
Konzertreihe "Musik im Gespräch" im Theaterkeller des Instituts