Der Ton macht die Musik
Gibt es eine Verantwortung des Menschen für sein Tun - und durch welche Handlungen wird er ihr gerecht (oder möglicherweise nicht)? Dieser Frage gingen die SchülerInnen des Instituts Dr. Flad im Rahmen des Theaterstück "Der Ton macht die Musik" auf den Grund. Es wurde als Projektarbeit von den SchülerInnen selbst geschrieben und am Theaterhaus in Stuttgart uraufgeführt. Unter der Leitung von Andreas Frey, Regisseur des Stuttgarter Dein Theaters, ist eine beeindruckende dramaturgische Studie zum Thema Verhalten entstanden.
"Ungeheuer ist viel, doch nichts ungeheurer als der Mensch" - mit diesem Satz aus der Antigone von Sophokles stimmt der Moderator (Norbert Eilts vom Dein Theater) die Zuschauer auf das Stück ein. Das berühmte Antigone-Zitat weist auf die ambivalente Existenz des Menschen hin: einerseits ist er zu großen Dingen fähig - andererseits zu Destruktivität und Gewalt. Was aber ist jeweils richtig oder falsch? Wie können wir das Gute vom Schlechten stets im Alltag unterscheiden? Diesen Fragen gehen die Schüler in ihrem Stück nach und stellten ihre Thesen dazu auf die "Bretter, die die Welt bedeuten."
Im Prolog des Stückes halten alle Protagonisten Einzug auf die Bühne und verdeutlichen in kleinen Szenen, dass menschliches Verhalten stets mit Sozialisation zusammenhängt. Dabei schlüpfen Sie in hoher Frequenz in verschiedene Rollen, so dass ein Kaleidoskop an Verhaltensweisen entsteht. Der zweite Faktor ist Motivation. Sebastian Braun stellt seinem Publikum die provokante Frage: "Würden Sie weniger atmen, wenn Luft einen Preis hätte?" Dabei bläst er Luftballons auf und lässt sie ins Publikum fliegen. Die SchülerInnen haben sich zu Ihren Thesen unterhaltsame Szenen ausgedacht, die sie mit großer Spielfreude interpretieren und die Zuschauer faszinieren. Anna-Lena Kohl spielt eine Hausfrau, die auf einer Bank sitzt und über das Nichtstun sinniert. Die Botschaft kommt klar rüber: Man verhält sich immer, auch wenn man nichts tut. Im schlimmsten Fall kann das zu unterlassener Hilfeleistung führen. Marie-Luise Oehmisch bringt die Flüchtlingsthematik, den Klimawandel und den Atommüll ins Spiel: Was passiert eigentlich, wenn wir nichts dagegen tun?
Doch sind es nicht nur die großen Fragen dieser Welt, die uns mit Blick auf zwischenmenschliches Verhalten kümmern sollten. Verhaltensfragen stellen sich uns überall in den Weg. Ein Kellner (Sinan Celik) wird von einem rülpsenden Gast auf die Probe gestellt. Ein Rollerfahrer (Kevin Pircher) stürzt sich mit seinem rücksichtslosen Verhalten am Ende selbst in den Tod. Ann-Katrin Riedel führt die Zuschauer souverän durch die Szenen, das Publikum quittiert die Einfälle mit einem alles andere als verhaltenen Applaus.
Auf seinem Höhepunkt widmet sich das Stück der Urszene aller Verhaltensfragen: dem Sündenfall, der dem Menschen die Vertreibung aus dem Paradies und damit die freie Entscheidung über sein Verhalten beschert hat. Dabei wird in den Szenen der von Brecht geprägte V-Effekt zur Verfremdung der Wirklichkeit verwendet, was hilft, Dinge aus anderen Blickwinkeln zu zeigen. Tabea Brandenburg beobachtet mit fremdländischem Akzent aus der Distanz "Monsieur Le Gott", wie er die Welt erschafft - köstlich gespielt von Mehran Samadi, der den künstlerisch-kreativen Aspekt des göttlichen (Er-)Schaffens in den Vordergrund stellt. Alles hat seine Folgen, vom göttlichen Wirken bis hin zum kleinsten menschlichen Verhalten. Adam (alias Torben Müller) und Eva (Anna-Lena Kohl) führen vor, dass selbst das Essen eines Apfels globale Auswirkungen nach sich ziehen kann. Und so ist es vor dem Hintergrund von weltweitem Handel und Energiebilanz bis heute geblieben. Als Kain (Kevin Pircher) auch noch Abel erschlägt (Kevin Wegmann), wird "Monsieur Gott" erneut zum Handeln gezwungen: Er händigt Moses (Santiago Alarcon-Ferrer) die 10 Gebote aus.
In Regeln wie diesen liegt die hoffnungsvolle Botschaft des Stückes. Verhalten lässt sich nämlich steuern. Verhalten lässt sich kontrollieren. Und Verhalten lässt sich sogar antrainieren. Wie das geht, zeigt Elisabeth Voit als Bewerbungstrainerin einem Bewerber (Kevin Wegmann). Eine weitere Szene zeigt die Wandlungsfähigkeit des Menschen, indem die Entwicklung vom Säugling bis zum Erwachsenen skizziert wird. Der Mensch ist ein Lernwesen - er muss und er kann alles lernen. Gebote und Regeln helfen dem Menschen dabei, sich gut und korrekt zu verhalten, das wird in Szenen zum Grundgesetz und zu den Benediktiner-Regeln verdeutlicht. Wie sehr man davon geprägt wird, dokumentieren die Protagonisten, indem Sie am Ende des Stückes aus ihren Rollen heraustreten und Leitsätze vorstellen, die Sie von ihren Eltern bekamen.
Der Ton macht dabei die Musik und prägt das Konzert des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Schon Kant fragte nicht nur: "Was soll ich tun?", sondern auch: "Was darf ich hoffen". Das Stück jedenfalls, dessen Programm von Gül Tosun, Esma Ulas und Elisabeth Voit verfasst wurde, machte den Zuschauern Hoffnungen - und viel Lust auf mehr.
Institutsleiter Wolfgang Flad dankte zum Abschluss Andreas Frey, Michaela Knepper und Norbert Eilts vom DEIN Theater für die professionelle Unterstützung. Zum 13. Mal hat das DEIN Theater das Institut nun bei einem Theaterprojekt unterstützt und Wolfgang Flad kündigte an, dass diese erfolgreiche Zusammenarbeit weiter gehen wird.